🧠 PDA: Ursachen & Forschung
Das Profil der Pathologischen Demand Avoidance (PDA) ist eines der am intensivsten diskutierten und am wenigsten erforschten Profile innerhalb des Autismus-Spektrums ( vor allem in Deutschland). Während das Verhalten selbst (extreme, angstgesteuerte Forderungsvermeidung) gut beschrieben ist, konzentriert sich die aktuelle Forschung darauf, die zugrundeliegenden neurobiologischen und kognitiven Ursachen zu entschlüsseln.
Wichtig vorab: PDA ist kein eigenständiges klinisches Syndrom im Sinne des DSM-5 oder ICD-11, sondern ein profilspezifisches Verhaltensmuster innerhalb der Autismus-Spektrum-Störung (ASS).
Die Rolle der Angst und des Nervensystems
Der zentrale Mechanismus bei PDA ist die Angst vor Kontrollverlust. Anforderungen – selbst harmlose oder erwünschte – lösen eine unmittelbare Bedrohungswahrnehmung aus.
Das Autonome Nervensystem (ANS)
Forschung legt nahe, dass bei PDA-Betroffenen eine erhöhte Aktivität im Autonomen Nervensystem (ANS) vorliegt, insbesondere in den Bereichen, die für die Bedrohungsreaktion zuständig sind (Sympathikus).
Fight, Flight, Freeze: Anforderungen triggern direkt die Kampf- oder Fluchtreaktion des Körpers. Die extremen Verweigerungsstrategien (Ablenkung, Aggression, Weigerung) sind somit keine absichtliche "Trotzreaktion", sondern ein Versuch des Körpers, die als gefährlich wahrgenommene Situation zu bewältigen.
Amygdala und Hypothalamus: Es wird vermutet, dass die Amygdala (das Angstzentrum des Gehirns) Anforderungen falsch als existenzielle Bedrohung interpretiert, woraufhin der Hypothalamus (Teil des Stresssystems) die Stresshormone freisetzt.
Kognitive Verzerrung
Einige Studien zeigen, dass Menschen mit PDA Schwierigkeiten haben, die Intention anderer oder die Konsequenzen der Verweigerung korrekt einzuschätzen, was zur Eskalation beitragen kann. Die sofortige Priorität liegt auf der Wiederherstellung des inneren Gleichgewichts.
Exekutive Funktionen und Kognitive Profile
Exekutive Funktionen sind die kognitiven Fähigkeiten, die für die Planung, Entscheidungsfindung, Hemmung von Impulsen und das Umschalten zwischen Aufgaben erforderlich sind. Diese Funktionen zeigen bei PDA-Kindern oft spezifische Defizite, die die Verweigerung erklären können.
Kognitive Flexibilität (Shifting): Befund: Ein häufiges Problem ist die extreme Unflexibilität beim Wechseln von Tätigkeiten oder Routinen. Dies ist ein Kernmerkmal von ASS, ist aber bei PDA-Kindern oft besonders ausgeprägt. Die strikte Vermeidung dient als unflexible Strategie, um den kognitiven Aufwand des Umschaltens zu umgehen.
Inhibition (Impulskontrolle): Befund: Die Fähigkeit, die sofortige Verweigerungsreaktion zu unterdrücken, kann stark beeinträchtigt sein. Die emotionale/ängstliche Reaktion "Ich muss Kontrolle zurückgewinnen!" überlagert die rationale Einsicht "Ich sollte die Schuhe anziehen."
Planungs- und Organisationsfähigkeit:n Befund: Eine komplexe Anforderung (z.B. "Mach Dich für die Schule fertig") kann in ihrer Gesamtheit extrem überwältigend sein, da die nötige mentale Zerlegung der Aufgabe in Einzelschritte (Planung) fehlt.
Neurobiologische Forschungshypothesen
Die Forschung steckt noch in den Kinderschuhen, aber die Hauptansätze untersuchen die Unterschiede in der Hirnstruktur und Funktionalität.
Das Default Mode Network (DMN): Hypothese: Das DMN ist ein Netzwerk von Hirnregionen, das aktiv ist, wenn das Gehirn nicht direkt mit einer Aufgabe beschäftigt ist (z.B. Tagträumen). Störungen in der Konnektivität des DMN werden mit ASS in Verbindung gebracht. Bei PDA könnte eine Dysregulation dieses Netzwerks die Verarbeitung von Selbstwahrnehmung und sozialen Szenarien beeinträchtigen, was die erhöhte Angst auslöst.
Sensorische Verarbeitung: Befund: Wie bei anderen ASS-Profilen zeigen PDA-Betroffene oft ausgeprägte Probleme in der sensorischen Verarbeitung. Ein erhöhter sensorischer Input durch Kleidung, Lärm oder Licht kann bereits die Toleranzschwelle des Gehirns füllen, sodass jede zusätzliche Anforderung sofort zur Überlastung (Overload) führt.
📚 Quellen und weiterführende Informationen
Da PDA ein sich entwickelndes Forschungsthema ist, basiert das Verständnis hauptsächlich auf klinischer Erfahrung und Spezialstudien innerhalb der ASS-Forschung.
Newson, E., Le Marechal, K., & David, C. (2003). Pathological Demand Avoidance Syndrome: a report on 100 cases.Archives of Disease in Childhood, 88(7), 595-599. (Die Arbeit, die das Profil etabliert hat.)
ODonnell, M. & Garon, N. (2020). Pathological Demand Avoidance: What We Know and Where We Need to Go.Journal of Autism and Developmental Disorders, 50, 4213–4225. (Aktuelle Übersichtsarbeit zur Forschung.)
The PDA Society (UK): Bietet die umfassendste Sammlung an klinischen Erfahrungen und Forschungsergebnissen zu PDA. (URL: https://www.pdasociety.org.uk/)
PDA Deutschland e.V.: Deutsche Informationsstelle zum Thema. (URL: https://pda-deutschland.de/)
