Autismus-Spektrum-Störung (ASS)
Oberbegriff für alle Formen von Autismus, die sich durch gemeinsame Kernmerkmale in den Bereichen soziale Interaktion, Kommunikation und repetitive Verhaltensweisen auszeichnen. Da die Ausprägung sehr stark variiert, spricht man von einem Spektrum.
Neurodiversität
Konzept, das besagt, dass neurologische Unterschiede (wie Autismus, ADHS, Legasthenie etc.) natürliche und wertvolle Variationen der menschlichen Genetik sind – ähnlich der Artenvielfalt. Menschen mit ASS gelten als neurodivergent.
Neurotypisch
Bezeichnung für Menschen, deren neurologische Entwicklung dem gesellschaftlich definierten Standard entspricht und die nicht zum Autismus-Spektrum oder anderen neurologischen Unterschieden gehören.
DSM-5 / ICD-11
Internationale Klassifikationssysteme für medizinische Diagnosen. Aktuell werden alle Autismusformen im DSM-5 unter dem Oberbegriff Autismus-Spektrum-Störung (ASS) zusammengefasst (zuvor Asperger, Frühkindlicher Autismus etc.).
Frühkindlicher Autismus
Auch Kanner-Syndrom genannt. Die Form von Autismus, die sich typischerweise vor dem dritten Lebensjahr manifestiert und oft die stärkste Ausprägung der Kernmerkmale zeigt (häufig verbunden mit intellektuellen Beeinträchtigungen).
Asperger-Syndrom
Eine Diagnose, die im DSM-5 nicht mehr separat aufgeführt ist, aber historisch eine Form der ASS bezeichnete, die typischerweise ohne globale Entwicklungsverzögerung oder intellektuelle Beeinträchtigung einhergeht.
Exekutive Funktionen
Geistige Prozesse, die Planung, Organisation, flexibles Denken und das Kontrollieren von Impulsen ermöglichen. Diese Funktionen können bei Menschen mit ASS oft beeinträchtigt sein, was zu Schwierigkeiten im Alltag führen kann.
Theory of Mind (ToM)
Die Fähigkeit, sich vorzustellen, was andere Menschen denken, fühlen, wissen oder beabsichtigen (Fähigkeit zur Perspektivübernahme). Eine Beeinträchtigung der ToM gilt als zentrales Merkmal von Autismus.
Stimming
Abkürzung für Self-Stimulatory Behavior (selbststimulierendes Verhalten). Dabei handelt es sich um repetitive Bewegungen oder Geräusche (z.B. Handflattern, Wippen, Summen), die zur Selbstregulation dienen, um Reize zu verarbeiten oder Stress abzubauen.
Spezialinteressen
Intensiv betriebene, oft sehr detaillierte und tiefgreifende Interessen an bestimmten Themen (z.B. Züge, Dinosaurier, ein Film-Universum). Sie bieten Struktur und Trost und können eine Quelle für Wissen und Freude sein.
Echolalie
Die ungewollte Wiederholung von gehörten Wörtern oder Sätzen (oft aus Filmen oder Gesprächen). Sie kann zur Kommunikation (z.B. um eine Anfrage zu bestätigen) oder zur Selbstregulation dienen.
Meltdown
Eine intensive, unkontrollierbare emotionale Reaktion auf Reizüberflutung oder Stress, die sich in Schreien, Weinen oder aggressivem Verhalten äußern kann. Ist eine Überforderung und keine bewusste Trotzreaktion.
Shutdown
Eine Reaktion auf Überforderung, bei der sich die Person emotional und kommunikativ zurückzieht und von ihrer Umwelt abschottet. Kann sich in Stille, Bewegungslosigkeit oder verminderter Reaktionsfähigkeit äußern.
Sensorische Überempfindlichkeit
Auch Hyper-Sensitivität. Eine extreme Empfindlichkeit gegenüber alltäglichen Reizen wie Licht, Geräuschen, Gerüchen, Berührung oder Geschmack. Führt schnell zur Reizüberflutung.
Sensorische Unterempfindlichkeit
Auch Hypo-Sensitivität. Eine verminderte oder verzögerte Reaktion auf sensorische Reize, was dazu führen kann, dass die Person stärkere Reize (z.B. extremen Druck) sucht, um diese überhaupt wahrzunehmen.
Reizüberflutung
Ein Zustand, der eintritt, wenn das Gehirn die Menge und Intensität der sensorischen Informationen nicht mehr filtern und verarbeiten kann, was zu starkem Stress, Angst oder einem Meltdown führt.
Masking
Das bewusste oder unbewusste Verbergen autistischer Verhaltensweisen und das Imitieren neurotypischen Verhaltens, um sich sozial anzupassen und Ablehnung zu vermeiden. Dies ist extrem anstrengend und kann zu Burnout führen.
Autistisches Burnout
Ein Zustand tiefster körperlicher und mentaler Erschöpfung bei autistischen Erwachsenen, oft ausgelöst durch jahrelanges Masking und den ständigen Versuch, sich an eine neurotypische Umgebung anzupassen.
Double Empathy Problem
Ein wissenschaftliches Konzept, das besagt, dass Kommunikationsschwierigkeiten nicht nur auf der mangelnden Empathie oder ToM des autistischen Menschen beruhen, sondern auch auf dem mangelnden Verständnis neurotypischer Menschen für die autistische Kommunikationsweise.
PDA-Profil
Eine Bezeichnung für das Verhaltensprofil derPathologischen Nachfragevermeidung. Es wird als spezifische, extrem ausgeprägte Form der Autismus-Spektrum-Störung (ASS) angesehen, die primär durch eine intensive Angst vor alltäglichen Anforderungen und Erwartungen gekennzeichnet ist.
Pathologische Nachfragevermeidung
Die wörtliche Übersetzung von Pathological Demand Avoidance. Dies beschreibt das zwanghafte Bedürfnis, alle Anforderungen, Bitten oder Erwartungen (sowohl von außen als auch von innen) zu vermeiden, da sie ein Verlust von Autonomie und Kontrolle bedeuten und intensive Angst auslösen.
Demand
(Anforderung)Im PDA-Kontext jede Form von Erwartung, Aufgabe, Bitte oder Übergang, die vom Gehirn als Kontrollverlust interpretiert wird. Dazu gehören direkte Anweisungen ("Zieh dich an"), indirekte ("Es ist Zeit zu gehen"), aber auch innere Bedürfnisse (Hunger, Hygiene) oder angenehme Dinge (einen Film auswählen).
Controlling the Controller
Eine häufig beobachtete Strategie von PDA-Personen. Sie versuchen, die Situation oder die Personen um sich herum zu kontrollieren, um im Voraus zu verhindern, dass Anforderungen an sie gestellt werden, und so ihre Angst zu reduzieren.Soziale TaktikenDie Reihe an unbewussten und kreativen Strategien, die zur Vermeidung von Anforderungen eingesetzt werden. Dazu gehören:Ablenkung: Das Gespräch auf ein Spezialinteresse lenken.Aufschieben: "Gleich mache ich es, aber erst..."Ausreden/Rationalisierung: Realistisch klingende Gründe erfinden, warum die Anforderung nicht erfüllt werden kann.Fantasy-Rollenspiele: Die Situation durch das Hineinschlüpfen in eine Rolle umgehen.
Oberflächliche Soziabilität
Die scheinbare Fähigkeit, sich sozial angemessen zu verhalten oder leicht Kontakte zu knüpfen, was oft irrtümlich als Fehlen von Autismus interpretiert wird. Dies verbirgt jedoch tief liegende Schwierigkeiten in der Perspektivübernahme und der emotionalen Bindung.
Egalitäres Verhalten
Der Versuch, eine Hierarchie oder Autorität in Frage zu stellen oder aufzulösen, weil die damit verbundenen Erwartungen (Befolgen von Regeln) als unerträgliche Anforderungen empfunden werden.
Angstbasierte Reaktion
Die Kernursache des PDA-Verhaltens. Die Verweigerung wird nicht als Trotz oder Ungehorsam verstanden, sondern als Panikreaktion auf die wahrgenommene Bedrohung der Autonomie.
PDA-spezifischer Meltdown
Im Gegensatz zum typisch autistischen Meltdown (der oft durch sensorische Überlastung ausgelöst wird), wird der PDA-Meltdown primär durch die Eskalation der Angstreaktion bei einer nicht abwendbaren Anforderung ausgelöst.
"Low Arousal" Ansatz
Eine gängige Umgangsstrategie für PDA-Profile, die darauf abzielt, die Umgebung möglichst reizarm und anspruchslos zu gestalten. Dies beinhaltet die Reduktion von direkten Anweisungen und die Nutzung von indirekter, nicht-konfrontativer Sprache.
Versteckte Anforderungen
Anforderungen, die nicht direkt gestellt werden, aber indirekt durch die Umgebung oder Abläufe entstehen (z.B. der leere Teller signalisiert: "Du sollst ihn wegräumen"). Auch diese können starke Angst auslösen.
Pick Your Battles
Ein zentrales Konzept im PDA-Management. Es beschreibt die Notwendigkeit für Bezugspersonen, bewusst auszuwählen, welche Anforderungen (Demands) sie durchsetzen müssen (Priorität: Sicherheit/Gesundheit) und welche sie im Sinne der Angst- und Stressreduktion der Person ignorieren oder umgehen können. Ziel ist die Minimierung unnötiger Konflikte.
